Betrachten wir doch mal das Begleiten in der Musik. Emma, eine junge Sängerin, hat ein Lied ausgewählt, das sie singen möchte. Sie gibt die Tonlage vor und auch das Tempo. Sie entscheidet sich auch für einen bestimmten Ausdruck. Mike, der Keyboardspieler, begleitet sie. Er passt sich an. Er spielt in Emmas Tonlage, prescht nicht voraus und hängt nicht hinterher. Das erfordert von Mike Aufmerksamkeit und Einfühlungsvermögen. Er nimmt sich und seine Interessen zurück, um Emmas Gesang zu stützen, um sie zu begleiten. Mike nimmt Emma wahr, er spielt an ihrer Seite und er macht es gerne. Mike weiß, dass er sein Instrument beherrscht und dass er Emma nichts beweisen muss.
Übertragen wir die musikalische Begleitung auf eine Sterbesituation, dann bedeutet das, dass die Ehrenamtlichen die Situation der Sterbenden wahrnehmen und sich darauf einstellen. Sie erspüren die Bedürfnisse und respektieren sie. Sie sind präsent, begegnen den Sterbenden wertschätzend, schenken Nähe, Unterstützung und Zuwendung. Sie begegnen und erreichen die Sterbenden dort, wo sie sich gerade befinden. Und das bezieht sich sowohl auf ihre räumliche als auch ihre psychische Situation.
Anne Grabhorn war in einem kleinen Ort in der Wesermarsch aufgewachsen. Der Umgang mit Sterben und Tod, seit früher Kindheit, war ihr ganz selbstverständlich. Mit 12 Jahren hatte sie gemeinsam mit ihrer Mutter die verstorbene Oma gewaschen und ‚schön‘ gemacht. Anne erinnerte sich gerne an diese Zeit, es „fühle sich immer noch gut an, dass sie für Oma etwas tun konnte“.
Wenn damals der Leichenwagen durch den Ort zum Friedhof fuhr, streuten alle Anwohner Buchsbaum und Sand, um den Verstorbenen einen guten Weg zu bereiten.
‚Hospiz‘ war für Anne lange Zeit kein Begriff gewesen. Als ihr Ehemann schwer krank geworden war, hätte sie nie irgendwo angerufen, um Hilfe einzufordern. Zum Glück hatte sie damals sehr viel Unterstützung und Beistand von Freunden, Nachbarn und auch von Fremden erfahren. Und diese Erfahrungen hatte sie unbedingt anderen weitergeben wollen, und seit Anne in Varel wohnte konnte sie diesen Wunsch als ehrenamtliche Hospizbegleiterin verwirklichen.
Ihre eigene Beerdigung wünschte sich Anne zwar ganz still und leise, aber sie äußerte stets die Hoffnung, dass Jemand an ihrem Grabe „Der Mond ist aufgegangen“ singen würde.
Am 5. Juni 2024 ist Anne Grabhorn von uns gegangen, und wie es ihr Wunsch war, wurde sie auf ihrem letzten Weg begleitet - auch mit dem Lied "Der Mond ist aufgegangen". Wir gedenken ihrer mit großer Dankbarkeit.
Für
Karin Vrey waren Sterben und Tod nie Tabuthemen. Ihre Oma hat darüber Geschichten erzählt und jedes Haustier wurde mit großer Zeremonie beerdigt. Als dann ihr Papa im Sterben lag, kamen Leute vom Hospiz, die viel Gutes getan haben.
Das hat Karin so tief beeindruckt, dass sie selbst den Vorbereitungskurs zur Sterbebegleiterin absolvierte. Und direkt danach die Ausbildung zur Kinder- und Familienbegleiterin anschloss. Seitdem ist sie in diesem Bereich für die Hospizbewegung ehrenamtlich tätig. Mit viel Engagement unterstützt Karin seit Jahren betroffene Familien gerade so, wie es gebraucht wird.
Aber warum gerade Kinder- und Familienbegleitung?
Als der Bruder ihres Patenkindes im Alter von zwei Jahren an Leukämie erkrankte, wurde ihr schnell klar, was für ein riesiges Drama diese Krankheit für die ganze Familie darstellt. Alles bricht weg, das soziale Leben ist gestört, normal ist da gar nichts mehr! Karin hat gemeinsam mit der Mutter des Kindes Lösungen gefunden und versucht ein Stück Normalität zu geben.
Der kleine Junge ist heute erwachsen. Zum Glück konnte er nach einem Jahr die Krankheit überwinden.
Erich Rühlmann
Wenn alles in der hospizlichen Begleitung getan und gesagt worden ist, dann sind es gerade die Momente der Ruhe und Stille, die Erich besonders berühren. Wenn zwischen ihm und dem Schwerstkranken eine Verbindung entsteht, ausgelöst durch das Halten der Hände oder auch nur durch seine bloße Anwesenheit. Anfangs fiel es Erich manchmal schwer, diese Stille auszuhalten, dem Drang etwas tun zu müssen, zu widerstehen. Inzwischen empfindet er diese Momente der Nähe und Vertrautheit, in denen beide innerlich ganz zur Ruhe kommen, als zeitlos, friedvoll und erhaben.
Nach seinem Berufsleben beschloss Erich, sich ehrenamtlich zu engagieren. Aber warum entschied er sich gerade für die Hospizarbeit? Jahre zuvor war er in einem Krankenhaus einer Ordensschwester begegnet, die bescheiden und gut gelaunt von ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit beim Hospiz berichtete. Bis zu dem Tag hatte sich Erich noch nicht wirklich mit den Themen Sterben und Tod beschäftigt. Nun war er so beeindruckt von dem Selbstverständnis und der positiven Energie der Ordensschwester, dass er sie zum Vorbild nahm.
Durch die ehrenamtliche Begleitung Sterbender fällt es Erich inzwischen leichter, mit der eigenen Endlichkeit umzugehen.